
Heute früh war es wider Erwarten doch (noch) nicht regnerisch - und so sollte es gemäss Wetterapp auch bis Mittag bleiben. Also wieder ein Spontan-Entscheid, doch noch am Morgen loszuziehen. Um 9 Uhr holte ich Lars ab und wir fuhren zum Parkplatz zwischen Rothenfluh und Anwil. Schon die Anreise war lustig. Heute hatte ich extra alles in die App eingegeben, also auch die Anfahrt! Wir wollten ja dieses Mal alles richtig machen. Um kurz vor halb zehn standen wir nach ein paar unnützen Kurven - die Dame vom App leitete uns zu Beginn etwas irreführend. Das Wetter war zwar noch nicht sonnig, aber die Sonne drückte in der Ferne durch die Wolken. Mehr wurde leider auch nicht draus, aber egal.
Da bereits ein paar Hundebesitzer unterwegs waren, entschieden wir, in entgegengesetzter Richtung zu starten. Zu Beginn war es ein ganz normaler Mergel-Spazierweg. Er führte eine Weile den Acker entlang, um dann bei einem Bauernhof in den Wald zu führen. Das stellten wir ein paar Meter später fest, als Lars einen Blick aufs Handy warf. OK, dann wieder 20 Meter zurück und rechts in den Wald, dem gelben Pfeil nach. Das war ein richtig schöner (Ur)wald. Hier durften die Bäume und überhaupt die Vegetation noch ihren Lebenszyklus vollenden. Es war wirklich beeindruckend. Klar, war es kein eigentlicher Urwald. Aber wie wir später wiederholt auf den diversen Informationsschildern lesen konnten, wanderten wir durch ein Wald-Naturschutzgebiet.
Die Bäume waren oft durchsiebt von (Schwarz)Spechtlöchern. Einige lagen entwurzelt am Boden und dienten der Natur als neue Nahrungsgrundlage. Moos war in Massen vorhanden. Ebenso standen unzählige Bäume mit nur noch wenig Rinde, zahlreiche waren gespalten und abgebrochen - wohl als Folge von Stürmen. Wo wir auch liefen, es war dichter Unterwald, also mannshohes Gebüsch (junge Buchen), viele junge Tannengruppen. Ein Stück lang war auf der einen Seite des Weges ein ganzes Waldstück voller grosser Steinhaufen, also Kalkschotter in groben Stücken; alle mit Moos überzogen. Was für eine skurrile Welt; faszinierend. Und generell war der Wald so richtig durchmischt. Die Vögel, meist Meisen, Buntspechte und Co., zwitscherten hier noch munter. Nach etwa einer halben Stunde erreichten wir eine weitere Weggabelung, mit einer Bank. Wir hatten 3 Wege zur Auswahl. Der mittlere war kein Thema, das war ein Bike-Trail "habt Acht auf die Gemsen" stand auf einem Schild. Gemsen, hier? Naja, ein Blick auf die App und wir bogen nach rechts ab.
Schon ein paar Meter weiter wäre ein Abzweiger gekommen mit "Adventure Tour". Naja, so direkt ins Adventure wollten wir nicht. Wir hatten ja einen Plan :-). Also liefen wir den gewählten Weg weiter. Wir waren, nach der Bank mit den Bikern, ganz alleine auf weiter Flur. Wie wird der Wald wohl aussehen, wenn alles grün ist? Der wäre ja sowas von undurchdringlich grün, unglaublich. Nach etwa einer dreiviertel Stunde gabelte sich der immer noch breite, gemütliche Waldweg - also eher eine Strasse - wieder. Links ging der "Aargauer Weg" weiter und rechts führte er in einem Bogen nach Anwil. Aber gerade in der Kurve fand Lars eine verlockende Alternative. Da stand gross ein Verbotsschild und daneben ein Hinweis "Rutschhang, Betreten auf eigene Gefahr". Aber: Es war nicht abgesperrt, sondern für Wanderer offen. Also dann - auf gehts. Lars meinte zwar "Mami, das ist ein cooler Weg, aber du musst noch nicht wissen, wo der durchführt". OK, nein muss ich nicht. War das ein schöner Weg, schmal führte er den Steilhang entlang. Zuerst wars noch eben, dann fiel er leicht ab. Um uns rum zwitscherten die Amseln und noch andere Vögel, Schwarz-, Grau- oder Grünspecht trommelten, riefen oder wetterten. Irgendwo zwischen den Bäumen schwirrte eine Mistel- oder Singdrossel rum. Es war einfach herrlich!
Irgendwann machte der Weg eine Spitzkehre. Lars meinte noch, ja, jetzt gehts in gleichem Stil zurück. OK. Mal sehen. Der Weg, ein schmaler Pfad, lief sich extrem angenehm weich. Laub vom letzten Herbst mischte sich mich bereits zersetztem Laub. Es war einfach cool. So wanderten wir munter weiter. Es war speziell. Immer mal wieder sahen wir ganze Felswand-Stücke. Da konnte man sich gut vorstellen, warum alles immer mal wieder rutschte - diese brüchigen Kalksteinschichten mussten ja irgendwann vor den Witterungsbedingungen kapitulieren. Irgendwann nach etwa anderthalb Stunden, wussten wir, wieso die von Rutschhang schrieben.
Der Weg wurde extrem schmal, es waren sogar Leit-Kabel an der Felswand, damit man sich festhalten konnte. Und etwas weiter war ein ganzes Stück Hang ganz offensichtlich abgerutscht. Der Spalt war nicht zu übersehen. Und: wir sahen tatsächlich zwei Gemsen! Unglaublich, hier Gemsen?! Wir konnten es kaum glauben. Wie schön! Und so gings weiter auf dem schmalen Weg, der sich dann auch wieder verbreiterte.
Überall waren schon junge Buchen, die sich hier ihren Platz zurückeroberten. Irgendwann mündete der Weg wieder in einem "normalen" Weg. Der war nicht minder schön und beeindruckend. Was für eine spezielle Stimmung. Das Licht wurde wieder heller, auch wenn keine Sonne kam. Immer mal wieder sah man unten den einen oder andern kleinen Tümpel - und auch einen Ort. Gemäss App sollte irgendwo unten im Tal wohl Wegenstetten liegen. Möglicherweise war dies wirklich besagtes Dörfchen.
Nach knapp zwei Stunden erreichten wir die Höhe bei ...horn. Sollten wir nach rechts den breiten Weg entlang oder noch eine Runde anhängen? Klar, entschieden wir uns fürs Anhängen. Es war jetzt halb zwölf. Bis der Regen kam, sollte es ja noch dauern. Der schmale Weg führte über zahllose Holz"treppen"stufen nach unten. War etwas tricky, aber ok. Irgendwann mündete der Weg in den nächsten breiten Weg, der mehr oder weniger eben verlief.
Schon bald war wieder eine Entscheidung gefragt, runter dem Weg folgen oder rauf? Von oben kam eine Familie, die in den nach unten führenden Weg einbog. Wir aber wollten ja hinauf. Also nach rechts. Und erneut war die Frage: Normal oder die "Adventure Tour"-Variante? Naja, wir können ja den "normalen" Weg nehmen. Gesagt, getan, zumindest auf den ersten hundert Metern. Dann meinte Lars "Ach komm, wir nehmen doch den untern". Ok, kurze Rutschparte auf den ein paar Meter darunterliegenden Weg. Auch der war cool. Ein schöner Blick ins Tal und auch eine sehr schmale Stelle einen Hang entlang. Danach wurde es wieder breiter. Links gings aber immer noch steil runter, rechts genauso steil hinauf - alles voller dichtstehender Tannen. Lars lief kurz zur Wegkante, um einen Blick runter zu werfen, und schwupps, sahen wir drei Rehe davon springen. Cool!
Und wieder führte der (noch) breite Weg in einer langen Linkskurve ins Tal. Hmmm - also wieder mal nach oben. Zuerst folgten wir dem Weg, stellten aber nach ein paar Metern und Lars' Blick auf die App fest, dass da noch ein weiterer Weg sein musste, der steiler hoch und zu unserem ursprünglich Ausgangspunkt führte. Ok, dann wieder zurück zur Kurve und den "Weg" suchend. Wie schon so oft heute lagen auch hier ganze Bäume und Äste quer auf dem Weg. Aber es war auf der App tatsächlich einer eingezeichnet, auch wenn der ganz sicher in den letzten Jahren nicht mehr unterhalten worden war. So nebenbei: Ich habe später in YouTube erfahren, dass auch andere mit der Komoot zwar gerne unterwegs sind, aber die Daten wirklich nicht immer aktuell sind. Aber egal: Wir kraxelten durch Moos, morsches Holzwirrwarr auf dem Weg und stapften - ohne Witz - knietief durch Laub und zwischen Jung-Buchen hindurch. Was für ein Erlebnis! Der Weg war eine kleine Herausforderung. Immer wieder mussten wir uns den Weg durch den Jungbuchenwald und Brombeer-Ranken suchen. Er wurde immer weniger gut erkennbar. Inzwischen mussten wir uns tatsächlich zwischen Ranken, wilden Karden und Distel-Samenständen hindurchwuseln. Auch hier machte der Weg irgendwann eine scharfe Linkskurve. Das wollten wir definitiv nicht, zumal die App Lars sagte, dass es - wen wundert's - wieder mal steil hinauf gehen sollte; natürlich auf einem Weg.
Weg?! Da war gefühlt nur ein Hang, naja, den Weg konnte man erahnen. Also los, packen wir's. Apropos packen: Man musste mit Vorsicht aussuchen, wo man sich festhielt und wo lieber nicht. Es standen dermassen viele morsche Bäume rum, dass man nicht davon ausgehen konnte, dass sie auch hielten. Einen warf ich um, der wiederum nahm einen andern mit, welcher fast auf Lars fiel. Aber Glück gehabt. Es war ein schmales Bäumchen und verfehlte ihn. So kraxelten wir unerschrocken und mit einigen Lachern den Hang hinauf. "2 versus wild" sozusagen.
Aber unser Ziel kam immer näher. Und irgendwann standen wir dann - nach einem letzten Hindurchzwängen durchs Heckengebüsch - auf der Wiese. Wir waren nahe der ersten Abzweigung wieder auf dem Weg, der uns zurück zum Auto führen sollte. Inzwischen hatte es auch angefangen zu nieseln. So waren wir ganz froh, dass wir nur noch etwa 500 Meter bis zum Parkplatz brauchten. Also noch eine Runde um den Acker am Waldrand entlang. Dem Bussard auf dem Feld war das zu nah und er flog auf einen weiter entfernten Ausguck-Pfosten. Wir aber standen um kurz nach halb eins wieder beim Auto und zupften die letzten Distelfuseln von den Kleidern. DAS war ein richtig cooler Ausflug - mit ein paar ganz tollen Sichtungen und ein paar Kilometern mehr als geplant. Aber man kann eine geplante Tour ja wie ein Kochbuch als Basis nutzen - und kreativ erweitern; so, wie wir dies heute gemacht hatten. War ein Riesenspass - auch wenn wir wohl keine der "Sehenswürdigkeiten" gesehen hatten, die es wohl geben sollte. Soviel Natur wie heute machte das mehr als wett!